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28.9.1969: Sozialliberale Koalition
Mit der Wahl von Gustav Heinemann zum neuen Bundespräsidenten im Frühjahr 1969 hatte sich ein politischer Klimawechsel in der Bundesrepublik Deutschland angekündigt: Zum ersten Mal bekleidete ein Sozialdemokrat dieses Amt.

Am Abend des Wahlsonntags der Bundestagswahl 1969 dann, am 28. September 1969, sahen sich Kurt-Georg Kiesinger, der Kanzler der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD sowie CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender Rainer Barzel mit 46,1 Prozent der Stimmen zunächst noch als Sieger: Kurt-Georg Kiesinger: "Ich freue mich über das Ergebnis dieser Wahl." Und
Rainer Barzel sagte: "Wir haben einen klaren Führungsauftrag."

Aber - die in der Großen Koalition gezeigte Regierungsfähigkeit hatte der SPD Stimmen über ihr traditionelles Wählerpotential hinaus gebracht. Den Verlust an Glaubwürdigkeit bei Teilen der Studentenbewegung und der außerparlamentarischen Opposition durch ihre Zustimmung zur Notstandsgesetzgebung hatte die SPD teilweise durch Reformversprechen zurückgewinnen können. Mit 42,7 Prozent der Stimmen fühlte sich daher auch der SPD-Vorsitzende Willy Brandt bestätigt: "Dies ist das beste Ergebnis, das wir bisher gehabt haben."

Die FDP wollte trotz hoher Stimmenverluste - sie kam noch auf 5,8 Prozent - mit ihrem Vorsitzenden Walter Scheel wieder an die Macht: "Die FDP ist bereit, in der nächsten Legislaturperiode Regierungsverantwortung zu übernehmen.", sagte Scheel.

Damit begann der Kampf um die politische Wachablösung in der Bundesrepublik Deutschland: Willy Brandt wollte die sozial-liberale Koalition: "SPD und FDP zusammen haben die Mehrheit."

CSU-Chef Franz-Josef Strauß sprach sich für eine Regierung von Union und FDP aus: "Die CSU schlägt dem Bundeskanzler vor, die Bildung einer Koalition CDU/CSU-FDP zu versuchen."

So verfolgte nach dem Wahltag die Öffentlichkeit spannungsreiche Auseinandersetzungen vor und hinter den Bonner Kulissen. Trotz großzügiger Angebote der Unionsparteien konnte Willy Brandt nach nur sechs Tagen die Einigung zwischen SPD und FDP verkünden: "Die Verhandlungen der Delegationen von SPD und FDP zur Bildung einer neuen Bundesregierung haben ihren positiven Abschluss gefunden. Ich bleibe selbstverständlich mit dem Koalitionspartner zur Vorbereitung der Regierungserklärung in Kontakt. Die Bundesregierung wird um fünf Ressorts verkleinert. Eine Kabinettsreform wird die Regierungsarbeit erleichtern."

Am 21. Oktober 1969 wählte der Deutsche Bundestag dann Willy Brandt zum neuen Kanzler. 91 Jahre nachdem Bismarck die Sozialdemokraten zu Staatsfeinden erklärt hatte, 39 Jahre nach dem Sturz des letzten sozialdemokratischen Kanzlers Hermann Müller und 20 Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland leistete der SPD-Vorsitzende im Hohen Haus am Rhein den Amtseid: "Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde, so wahr mir Gott helfe."

Nach 20-jähriger Regierungszeit war die CDU/CSU erstmalig auf die Oppositionsbänke verbannt. Rainer Barzel trug es mit Fassung, er sagte: ″Irgendwo muss man sich auf Tatsachen einstellen, und wir werden eine Opposition führen, in der wir uns bemühen, darzutun, dass, nachdem wir 20 Jahre gezeigt haben, wie man regieren kann, dass wir nun versuchen zu zeigen, dass wir auch die beste Opposition sind, die es je gab."

Die Absichten der sozialliberalen Koalition fasste Brandt in seiner Regierungserklärung in die Formeln 'Kontinuität und Erneuerung', 'Fähigkeit zum Wandel' und 'Mehr Demokratie wagen'. Brandt sagte: "Herr Präsident, meine Damen und Herren. Wir sind entschlossen, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und den Zusammenhalt der deutschen Nation zu wahren, den Frieden zu erhalten und an einer europäischen Friedensordnung mitzuarbeiten, die Freiheitsrechte und den Wohlstand unseres Volkes zu erweitern und unser Land so zu entwickeln, dass sein Rang in der Welt von morgen anerkannt und gesichert sein wird."

Als Willy Brandt mit seinem Regierungsprogramm an die Öffentlichkeit trat, verknüpfte sich damit für viele nicht nur die Erwartung einer neuen Ostpolitik. Als ein wichtiges Ziel nannte er ein geregeltes Miteinander mit der DDR. Wenn es auch zwei Staaten gebe, so seien sie doch füreinander nicht Ausland.

Auch innere Reformen wurden versprochen. Dazu zählten unter anderem die Herabsetzung des Wahlalters, Reformen im Bereich der Betriebsverfassung, des Bildungs- und Gesundheitswesens, der Ausbau des Sozialsystems sowie ein Pressegesetz zur Verhinderung von Informationsmonopolen.

Die Regierungserklärung des neuen Bundeskanzlers schlug Töne an, die vor allem bei jüngeren Menschen eine optimistische Aufbruchstimmung erzeugten: "Wir wollen mehr Demokratie wagen. Wir werden unsere Arbeitsweise öffnen und dem kritischen Bedürfnis nach Information Genüge tun. Wir werden darauf hinwirken, dass nicht nur durch Anhörungen im Bundestag, sondern auch durch ständige Fühlungnahme mit den repräsentativen Gruppen unseres Volkes und durch eine umfassende Unterrichtung über die Regierungspolitik jeder Bürger die Möglichkeit erhält, an der Reform von Staat und Gesellschaft mitzuwirken."


Autor: Michael Kleff
   
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