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1.4.1933: Boykott gegen jüdische Geschäfte |
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"Heute morgen um 10 Uhr hat der Boykott begonnen, er wird bis zur Mitternachtsstunde fortgesetzt und vollzieht sich mit einer schlagartigen Wucht, aber auch mit einer imponierenden Zucht und Disziplin unserer Partei und unserem Führer, Heil, Heil, Heil", sprach Joseph Goebbels, in einer Rundfunkansprache am 1. April 1933. Mit diesem Boykottaufruf gegen jüdische Unternehmen sollte - zwei Monate nach der Machtergreifung Hitlers - der Volkshass geschürt werden. Es war der erste brutale Schlag zur Ausschaltung jüdischer Bürger aus dem Wirtschaftsleben. Die Übergriffe auf Juden, die bereits an der Tagesordnung waren, sollten nun in einen gesetzlichen Rahmen gefasst werden. Ein Boykottkomitee wurde ins Leben gerufen, den Vorsitz hatte Julius Streicher, Herausgeber des "Stürmer".
Jüdische Geschäftbesitzer bangten um ihre Existenz. Seit die Nationalsozialisten an der Macht waren, haben immer wieder Braunhemden die Geschäftsleute bedrängt, Kunden angepöbelt, Scheiben eingeworfen und lautstark antisemitische Parolen gegröhlt. Ein hoher Prozentsatz der Juden war traditionell selbständig, als Rechtsanwälte, Ärzte, Inhaber kleiner Läden oder Kaufhäuser wie damals Leonhard Tietz, der in allen großen Städten Deutschlands Warenhäuser besaß. Sein Enkel Albert Ulrich Tietz erinnert sich noch an die Tage vor dem Boykott:
"Ende März, so um den 25. März herum, hörten wir, dass für den 1. April von den Nationalsozialisten ein Boykott jüdischer Häuser, Warenhäuser und Geschäfte geplant war. Mein Vater war zu der Zeit in Berlin zum Treffen des internationalen Warenhausverbandes. Meine Mutter fand, dass sie meine Großmutter, meine Geschwister und mich nach Holland bringen sollten, wo mein Vater auch den nächsten Tag hinkommen sollte, um bei einer dortigen Sitzung des Warenhauses teilzunehmen. Und so verließen wir ungefähr um den 25. herum Deutschland."
Die Familie Tietz ersparte sich zumindest die persönliche Schmach und Demütigung. Dennoch, auch ihre Schaufenster wurden beschmiert, vor dem Eingang standen aus SA- und SS-Kadern gebildete "Abwehrposten", Plakate klebten auf den Scheiben: "Deutsche wehrt Euch, kauft nicht bei Juden". Die Bevölkerung war eingeschüchtert. Die jüdischen Geschäfte schlossen ihre Läden, Kunden standen hilflos davor wie dieser Augenzeuge aus Berlin: "Die ganze Leipziger Straße, in der sehr viele jüdische Geschäfte waren wie Rosenheim, die heute auf dem Kurfürstendamm sind, die alle beschmiert worden, angegriffen worden sind."
Aus Angst vor weiteren Boykottmaßnahmen, Übergriffen und Restriktionen waren viele jüdische Unternehmer bereit, ihr Eigentum zu verkaufen. Das Schicksal eines jüdischen Unternehmens konnte entweder Liquidation oder Arisierung lauten. Ein liquidierter Betrieb hört auf zu existieren, während ein arisierte Betrieb von einer deutschen Firma aufgekauft wurde. Die Juden wurden massiv zum Verkauf genötigt. Je länger sie warteten, desto größer wurde der Druck und desto geringer war die Entschädigung. Fred Grubel, Direktor des Leo Baeck Instituts in New York, seit Jahrzehnten auf Spurensuche, wollte die jüdischen Vorbesitzer von Geschäften, Firmen oder Banken nicht in Vergessenheit geraten lassen: "Resultat ist, dass der ganze jüdische Wirtschaftssektor übernommen worden ist in Deutschland. Ich habe mich mit deutschen Wissenschaftlern darüber unterhalten, dass es eigentlich eine wichtige Gelegenheit wäre, einmal festzustellen, wieviel die deutsche, nichtjüdische Wirtschaft gewonnen hat, dadurch dass die Juden ermordet und rausgeschmissen worden sind. Nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern auch der deutsche Staat."
Autorin: Doris Bulau
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